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Wer willst du als Führungskraft gewesen sein?

„Manchmal frage ich mich, was für eine Führungskraft ich wohl mit dem Wissen und den Erfahrungen von heute gewesen wäre.“ An diesem Gedanken ließ mich kürzlich ein Coachee teilhaben. Er blickte auf eine erfolgreich erklommene Karriereleiter und zwei Jahrzehnte in unterschiedlichen Führungspositionen zurück. In der Aussage steckt der leise Zweifel, vielleicht nicht immer alles richtig gemacht zu haben. Sie enthält aber auch einen essenziell wichtigen Hinweis darauf, was für gelingende Führung notwendig ist: Es ist die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren, zu hinterfragen, zu begreifen. Die Fähigkeit der Selbstführung.

 

Gerade wer sich erstmals in eine Führungsrolle begibt, wird mit oft vollkommen neuen Herausforderungen konfrontiert. Manche von uns ahnen das bereits und lassen es daher lieber gleich bleiben. Anderen werden diese neuen Arten der Herausforderung erst bewusst, während sie bereits im Schlamassel stecken. Es sind die großen und kleinen Fragen des Führungsalltags, denen Menschen sich je nach Funktion und Hierarchie plötzlich gegenübergestellt sehen. Das Spektrum ist riesig. Auf der einen Seite sind es die unternehmerischen und businesskritischen Fragen (Nachhaltigkeit vs. Wachstum oder Kosteneffizienz vs. Sozialverträglichkeit), aber es sind auch die zwischenmenschlichen sowie individuellen Konflikte und Unsicherheiten:

 

  • Wie agiere ich in schwierigen zwischenmenschlichen Situationen oder treffe schwierige Personalentscheidungen, ohne das Vertrauen im Team zu verlieren?

  • Wie kann ich Veränderungen initiieren, kommunizieren und durchsetzen, ohne Mitarbeitende zu demotivieren? Was, wenn ich die Veränderungsentscheidung selbst nicht gutheiße?

  • Wie gehe ich mit widersprüchlichen Erwartungen meiner Vorgesetzten, aus anderen Bereichen der Organisation und meines Teams um?

  • Wie balanciere ich (meine eigenen sowie organisatorischen) Ressourcen und priorisiere zwischen kurzfristigen Ergebnissen und langfristiger Vision?

  • Wie gehe ich mit dem Gefühl zwischen allen Stühlen zu stehen, um? Mit dem Gefühl, immer der Sündenbock zu sein? Dem Gefühl zwischen Macht und Ohnmacht? Mit dem Hin und Her aus „eigentlich hätte, könnte, müsste man mal…“?

  • Wie viel muss, kann oder darf ich von mir als Mensch zeigen, ohne an „Autorität“ oder Vertrauen in meiner formellen Führungs-Rolle zu verlieren?

 

Diese und viele weitere Fragen haben eine Gemeinsamkeit: Ihre Antwort ist unklar. Es gibt kein richtig oder falsch. Denn Führung wird da benötigt, wo es zwei oder mehrere, gleichwertige Alternativen gibt. Da, wo sich Alternativen widersprechen, im Dilemma, in Unsicherheit, in Komplexität. Sie wird da benötigt, wo es in Organisationen keine klaren Vereinbarungen, Regeln und Strukturen gibt, auf die man sich berufen kann. Kurzum: Führung ist dazu da, um das Unentscheidbare zu entscheiden.

 

Ziemlich harter Tobak, oder?

 

Wie wir die Welt navigieren, Situationen analysieren, interpretieren und schließlich Entscheidungen treffen, hängt stark von unserer eigenen inneren Landkarte ab. Denn wir sehen die Welt nicht so, wie sie ist. Wir sehen sie so, wie wir sind. Unsere innere Landkarte, unser Weltbild oder auch unser inneres Orientierungssystem, ist ein tief verwobenes Geflecht aus individuellen Zielen, Werten und Überzeugungen, aus unseren Erfahrungen, Emotionen sowie sozialen Einflüssen und individuellen Denk- und Verhaltensmustern.

 

Unsere eigene Landkarte trifft im Kontext Arbeit nicht nur auf die Landkarten von Kolleg*innen und Teams, sondern auch auf die ganz eigene Landkarte des Unternehmens, für das wir arbeiten. An dieser Stelle wird klar, warum Selbstführung so essenziell für gelingende Führung ist. In Führungsrollen begeben wir uns auf unbekanntes Terrain, in uneindeutige Situationen. Es ist wichtig, sich der eigenen Führungserfahrungen bewusst zu sein, um eine klare Vorstellung davon zu entwickeln, wie man selbst führen möchte. Sich selbst zu führen bedeutet, sich der eigenen Landkarte bewusst zu werden und Verantwortung für ihre Irrungen und Wirrungen zu übernehmen. Es bedeutet die Möglichkeit, die Landkarten anderer erschließen zu können, neue oder andere Wege einzuschlagen und im organisationalen Kontext gänzlich neue Landkarten zu erstellen.

 

Selbstführung bedeutet, von Zeit zu Zeit einen Schritt zurückzutreten und aus dem Autopiloten auszusteigen. Sie bedeutet aus Routinen und „Das haben wir schon immer so gemacht“-Einstellungen auszubrechen. Sich selbst zu führen heißt, ein gewisses Unbehagen in Bezug auf die eigenen Positionen zu kultivieren und dem Zweifel Raum zu geben. Selbstführung bedeutet „Erst denken und fühlen, dann sprechen und handeln“. Sie unterstützt uns beim „Wieso, weshalb, warum?“ und beim nicht einfach nur auf äußere Anforderungen und Erwartungen zu reagieren. Sie hilft uns, das Unentscheidbare zu entscheiden, damit wir handlungsfähig bleiben. Selbstführung hilft uns mit einer „falschen“ Entscheidung „richtig“ umzugehen. Und vor allem hilft Selbstführung uns dabei, uns selbst (und andere) im Führungsalltag nicht zu verlieren.

 

Und: Wer willst du als Führungskraft gewesen sein?




Bildquelle: www.freepik.com

 
 
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